Hallo!
Ich bin 32 Jahre alt und habe im Laufe meines Lebens häufig sexuelle Übergriffe erlebt. An harmlosere erinnere ich mich, an Vergewaltigungen erinnere ich mich, bis auf eine nur körperlich, sodass mir der Umgang leichter fällt und Flashbacks nicht so leicht getriggert werden, aber darum soll es hier nicht gehen. Es soll um den letzten Übergriff gehen, der mir lebhaft im Gedächtnis geblieben ist und mich immer wieder einholt.
Es war in meiner letzten Beziehung, die mittlerweile einige Jahre her ist. Mein damaliger Freund hat mich in die BDSM-Welt eingeführt und die ersten Monate lief alles sehr gut. Auf meine Grenzen wurde geachtet, meine psychische und physische Unversehrtheit war wichtig und wenn mal deutliche Spuren geblieben sind (nie an sichtbaren Stellen) wurden diese versorgt. Dann kam ein Tag, an dem ich mich nicht so verhalten habe, wie er es sich gewünscht hat. Ich hätte ihn vor seinen Freunden blamiert, weil ich meinen Willen durchgesetzt habe und nicht auf ihn gehört habe, obwohl es meiner Gesundheit geschadet hat. Als wir wieder in der Wohnung waren, vergewaltigte er mich. Anal, oral, vaginal. Stundenlang. Dazu wurde ich gewürgt, bis zur Ohnmacht und geschlagen. Ins Gesicht, auf den Oberkörper, auf die Beine. Er arbeitete regelrecht seine Wut, seinen Hass an mir ab. Stundenlang. Den halben Tag.
Am Anfang habe ich versucht mich zu wehren, hatte Angst, habe geschrien. Ihn gekratzt, weggestoßen und getreten. Zwecklos. Ihn hat es nur noch wütender gemacht. Die Nachbarn haben nicht reagiert. Und man hat mich sehr sicher gehört. Nach langer Zeit habe ich aufgehört, habe kapituliert, mein Schicksal akzeptiert. Es war eh sinnlos sich zu wehren. Ich blieb liegen, habe mich gedreht und gewendet, wenn er das wollte und es einfach über mich ergehen lassen. Meine Tränen waren versiegt, meine Kräfte verschwunden. Ich fühlte mich taub, elend. Nicht mehr wirklich mit der Realität verbunden und es fühlte sich alles an, wie ein fürchterlicher Albtraum. Ich war nicht mehr ich, habe ihn nicht mehr als den Menschen gesehen, den ich liebte, sondern einfach nur, als irgendeinen Mann, der einen Körper benutzt, der gar nicht wirklich zu mir gehört.
Nachdem er von mir abließ, es war mittlerweile Nachmittag, rollte ich mich am Fußende des Bettes zusammen, in dem er eingeschlafen war. Ich habe mich nicht getraut mich zu bewegen. Irgendwann kam der Schmerz zurück in meinen Körper, aber ich habe nicht realisiert, was da geschehen war. Ich weiß nicht, wie lange ich dort lag. Ob ich eingeschlafen bin oder dissoziiert oder sonst was. Irgendwann wachte er auf, zog mich an sich und entschuldigte sich. Ich war überfordert. Vollkommen überfordert. Wusste nicht, ob ich meinen Erinnerungen glauben soll, die sich so falsch anfühlten. Das konnte doch nicht mir passiert sein?! Ich verzieh ihm nicht, aber ich zog auch keine Konsequenzen daraus. Das hätte bedeutet, dass ich mich mit den vergangenen Stunden hätte befassen müssen und dazu
war ich nicht in der Lage. Es wäre zu schmerzhaft gewesen und dazu war mein damals labiles Ich nicht fähig. Wer weiß, was dann passiert wäre. Vermutlich wäre ich jetzt nicht mehr hier und könnte dafür kämpfen, dass Betroffene Anerkennung bekommen und ihnen geglaubt wird.
Ich habe es schlicht und einfach verdrängt. Weiter gemacht, als wäre nichts. Meine Blessuren damit begründet, dass ich besoffen die Treppe runtergefallen bin (Ja, das glauben dir Menschen wirklich, wenn sie befürchten, dass die Wahrheit schlimmer wäre) und die Beziehung weitergeführt, als wäre nichts. Das Leben geht ja schließlich weiter, oder nicht? Erst ein halbes Jahr später erlitt ich einen Flashback. In seiner Anwesenheit. In Anwesenheit von anderen. Und wieder hieß es, ich hätte ihn blamiert, könnte aber froh sein, dass er sich im Griff hätte und er nicht das macht, was ich verdient hätte. Darauf folgte dann die Trennung. Darauf folgte der Zwang mich mit den Geschehnissen auseinander zu setzen. Alleine, ohne Therapie. Nur mit Zetteln, Stiften und Taschentüchern. Über Jahre hinweg, Bis heute. Es ist an der Zeit mein Schweigen zu brechen. In der Hoffnung wenigstens einem Menschen die Augen zu öffnen oder einem Menschen zu helfen, der ähnliches erlebt hat. Und vielleicht auch ein Stück weit mir selbst. An die Öffentlichkeit zu gehen, wenn auch anonym, nimmt dem Täter ein Stück Gewalt über mich, die er bis heute hatte. Ich bin nicht das schwache Opfer. Ich habe überlebt. Ich werde weiterleben und mein Leben genießen. Mit jedem Lachen, jedem Tag, räche ich mich an einem Menschen, der mich und mein Leben zerstören wollte. Der mich brechen wollte, es fast geschafft hat, aber doch gescheitert ist.
Ich habe den Täter nie angezeigt, habe aber oft darüber nachgedacht. Was mich abgehalten hat? Ich habe damals keine Beweise sichern lassen. Das hätte ja bedeutet ich muss mir eingestehen, was passiert ist. Und ich war dazu nicht bereit. Später wäre ich bereit gewesen, aber welche Beweise hätte ich noch sichern lassen sollen nach einem halben Jahr? Ohne Beweise hätte ich doch eh keine Chance. Und dann immer wieder und wieder und wieder alles erzählen? Menschen eins meiner schlimmsten Erlebnisse anvertrauen, die mir nicht glauben? Die mich nur als die Psycho Ex sehen würden? Durch die Traumata in meinem Leben habe ich mit einer Vielzahl psychischer Erkrankungen zu kämpfen. Wer glaubt mir denn dann schon noch? Männern wird doch sowieso mehr geglaubt, vor allem, wenn sie beruflich vermeintlich besser dastehen, als man selbst. Dann will man doch eh nur Geld. Und wenn ich eine Anzeige erstatte? Wie hätte er reagiert? Er wusste, wo ich wohne. Wäre ich dann noch in Sicherheit?
Ich weiß nicht, ob er wieder Täter wurde. Ich hoffe nicht. Denn dann würde ich mir die Schuld darangeben, weil ich nicht gehandelt habe, weil mir der Mut und die Kraft gefehlt hat, um andere vor Schaden zu bewahren. Das ist ein Punkt, der mich wahnsinnig belastet, aber mit dem ich Leben muss. Und ich lebe. Ich habe Wünsche, Träume, Ziele. Finde neue Freunde, fühle mich wohl mit mir selbst und meiner Sexualität. Ich lache, tanze, weine, lebe und erlebe und befreie mich mit jedem Schritt ein Stück mehr von meiner Vergangenheit. Sie ist ein Teil von mir, aber bestimmt mich nicht. Und mit diesem Text, befreie ich mich ein Stück mehr.
Am Anfang des Textes war ich mir sicher, dass ich es nicht schaffe. Dass es zu weh tut. Zu sehr belastet und mir die Kraft fehlt. Doch mit jedem Wort wurde ich stärker, mit jedem Gedanken daran, dass es Tätern nicht passt, wenn ihre Opfer das Wort erheben, laut werden und für sich einstehen, gewann der Wille mich nicht wieder unterkriegen zu lassen. Täter nicht gewinnen lassen zu wollen.